Über Comics, den verlorenen Sohn und ein Happy End
Einige Schülerinnen und Schüler waren während des Homeschoolings sehr kreativ. Sie lernten ein neues Instrument spielen, haben viel gelesen und mal wieder zu Stift und Pinsel gegriffen. Lesen Sie die Gedanken zur Woche von Schulpfarrer Heiko Ackermann zu den Comics, ...
..., die seine Schüler der 7E des Evangelischen Ratsgymnasiums zu Martin Luthers Lieblingsgeschichte aus dem Neuen Testament gestaltet haben:
Liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Eltern, liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich liebe Comics. Schon als Kind und dann als Jugendlicher konnte ich mich stundenlang in die Geschichten von Donald Duck, Tick, Trick und Track sowie Micky Maus und Goofy vertiefen. Manche von den Comics mochte ich so sehr, dass ich sie immer und immer wieder lesen konnte. Später dann kamen die Erzählungen um Asterix und Obelix, Calvin und Hobbes sowie Tim und Struppi hinzu. Und noch heute bleibe ich in Buchhandlungen öfters vor der Comic- und Manga-Abteilung stehen, um nach den neuesten Graphic Novels zu schauen.
Vielleicht fand ich deshalb die Idee so reizvoll, mit den Schülerinnen und Schülern der 7E während der Zeit des Homeschoolings Teile der Geschichte von Martin Luther und der Reformationszeit als Comic zu lesen. Und so schauten wir uns mit Hilfe der bunt gezeichneten Bilder an, wie Luther bei dem Reichstag in Worms vor den wichtigsten Leuten der damaligen Welt sich zu seinem Glauben bekennt und mit tiefster Überzeugung ruft: „Hier stehe ich. Ich kann nicht anders! Gott helfe mir. Amen.“ Auch die anschließende Entführung Luthers auf die Wartburg, seinen Kampf mit dem Teufel und das geworfene Tintenfass wurden sehr eindrücklich durch die Comic-Strips dargestellt.
Doch damit nicht genug: Die Schülerinnen und Schüler sollten ebenfalls als Comic-Zeichner und Zeichnerinnen aktiv werden und eine von Martin Luthers Lieblingsgeschichten aus dem Neuen Testament als Comic gestalten. Um es vorweg zu nehmen: Als ich die fertigen Comics aus der 7E sah, war ich mehr als begeistert, denn die Erzählung vom verlorenen Sohn bekam durch die Zeichnungen ganz neues Leben:
Warum gerade diese biblische Erzählung über den Sohn, der sich seinen Erbteil geben lässt, hinaus in die Welt geht und dann, als er scheitert, wieder zurück zu seinem Vater geht und von diesem mit weit ausgebreiteten Armen aufgenommen wird, für Martin Luther so besonders war?
Vielleicht liegt das daran, dass sich Martin Luther genauso einen Vater gewünscht hätte: einen Vater, der ihm verzeiht und vergibt. Schließlich erzählte Martin Luther davon, dass seine Eltern ihn sehr streng erzogen hatten. Für viele Kleinigkeiten bekam er als Kind zur Strafe den Stock oder die Rute zu spüren. So bekam er von seinem Vater Prügel, nur weil er eine Nuss geklaut hatte. Als Luther es dann als junger Mann wagte, den von seinem Vater für ihn vorherbestimmten beruflichen Weg zu verlassen und ins Augustinerkloster eintrat, kam es zum heftigen Konflikt. Bis zu seinem Lebensende verzieh ihm sein Vater diese Entscheidung nicht. Wie anders wirkt da der Vater aus dem Comic-Strip, der auf die ungläubige Frage des älteren Bruders, warum er dem Jüngeren verzeiht, obwohl er doch den Vater so enttäuschte, fast schon lächelnd antwortet: „Weil er mein Sohn ist und weil Gott jedem eine zweite Chance gibt.“
„Weil Gott jedem eine zweite Chance gibt!“ Das ist wohl auch der andere, gewichtige Grund, warum diese Erzählung eine von Luthers Lieblingsgeschichten ist: In ihr wird für Luther erfahrbar, wie Gott eigentlich ist. Nicht strafend und zürnend, wie Luther und die mittelalterliche Theologie lange dachten, sondern liebend und verzeihend. Immer wieder von diesem liebenden und verzeihenden Gott zu erzählen, war Luther sein Leben lang wichtig.
Jetzt denken einige von euch vielleicht: Was hat das alles noch mit uns heute zu tun? Unsere Eltern sind Gott sei Dank nicht mehr so streng wie die Eltern bei Luther damals. Und dass Gott ein liebender und verzeihender Gott ist, davon haben wir im Religionsunterricht längst immer wieder gehört.
Für mich bleibt diese Erzählung vom verlorenen Sohn auch heute eine besondere Geschichte, weil sie Mut machen will: Sie will Mut machen, einander zu verzeihen, gerade dann, wenn etwas richtig falsch gelaufen ist. Sie will Mut machen, einander zu verzeihen, wenn sich Freunde übereinander geärgert haben, selbst wenn böse Worte fielen oder verletzende WhatsApp-Nachrichten geschrieben wurden. Die Erzählung will Mut machen, eben genau wie jener Vater zu handeln: Jemandem zu verzeihen und eine zweite Chance zu geben, das kann neue gemeinsame Wege eröffnen.
Jemandem zu verzeihen, kann im ersten Moment schmerzhaft sein und unbändige Kraft kosten. Ich bin mir aber auch sicher, dass solches Verzeihen neue Kraft und vielleicht auch Freude geben kann – sowohl dem, der verzeihen kann als auch dem, dem verziehen wird. Deshalb bleibt diese Lieblingserzählung von Luther aus dem Neuen Testament auch für mich heute noch aktuell. Sie erinnert mich daran, wie wichtig und wohltuend es ist, Fehler machen zu dürfen, zu verzeihen und einander eine zweite Chance zu geben. Dann nämlich ist die Chance groß, dass eigene Geschichten, die schief zu gehen drohen, mit einem Happy End enden.