Mit Noah unterwegs
Wir laden Sie diese Woche wieder ein, mit den Gedanken unseres Pfarrers der Erfurter Stiftungsschulen, Heiko Ackermann, in die neue Woche zu gehen. Halten Sie Ausschau nach sichtbaren Zeichen der Hoffnung, nach Lebendigem im Alltag, nach Blühendem in der Natur – „unserem“ Ölzweig, wenn wir uns die Geschichte der Arche Noah vor Augen führen.
Vielleicht erinnern sich einige Schüler, Lehrer und Eltern daran, dass im Treppenhaus des Hauses am Breistrom des Evangelischen Ratsgymnasiums Erfurt die Arche Noah hängt. Gestaltet wurde diese Arche in einer unserer Projektwochen. Neben Giraffen, Schildkröten, Fröschen, Schweinen und Elefanten sind noch viele weitere Tiere zu erkennen, die in Origami-Technik gefaltet wurden. Und wer genau hinschaut, der sieht oben, an der Reling der Arche, Noah und seine Frau stehen.
Die Geschichte von der Arche Noah ist eine meiner Lieblingsgeschichten aus der Bibel. Und ein wenig erinnert mich diese biblische Erzählung auch an unsere heutige Zeit.
Noah erhält von Gott den Auftrag, ein Schiff zu bauen. In diesem Schiff sollten er und seine Familie sowie je ein Paar aller Tiere dieser Erde Platz finden.
Es wird berichtet, dass Gott zu dieser Zeit wütend auf die Menschen war. Sie stritten, gingen nicht gut mit der Erde um. Gott war so erzürnt, dass er der Menschheit eine Sintflut sendete. Nur Noah und seine Familie sowie den Tieren wollte er Schutz gewähren.
Ich möchte jetzt keinesfalls darüber spekulieren, warum diese Corona-Krise kam. Ich möchte Sie auch auf keinen Fall als Strafe Gottes verstanden wissen. Ich vertraue hier auf wissenschaftliche Erklärungen, die mir logisch erscheinen.
Aber ich denke, dass diese Krise uns vielleicht zum Nachdenken anregt, uns fragen lässt, was können wir im Miteinander anders machen? Wie gehen wir mit dieser Erde um, die jetzt angesichts weniger Flüge und schädlicher Umwelteinflüsse aufzuatmen scheint?
Noah baut diese Arche in kurzer Zeit. Es muss ein großer Kraftaufwand für ihn gewesen sein. Ich stelle mir vor, wie die Nachbarn ihn neugierig beobachten, ihn vielleicht verspotteten. Sie sahen kein Meer oder Wasser. Noah baute im Trockenen.
„Was baust Du denn da?“, „Das ist doch sinnlos!“, „Für was brauchst Du denn so ein großes Boot? Siehst Du hier Wasser?“ werden vielleicht noch die harmloseren Kommentare gewesen sein, die Noah zu hören bekam. Und viele Menschen werden damals über Noah den Kopf geschüttelt, ihn für verrückt erklärt haben.
Wie hätten wir reagiert, wenn uns vor fünf Monaten jemand von dem Corona-Virus erzählt hätte? Wenn jemand gesagt hätte, plant mal lieber nicht den Abi-Ball, bucht keine Reise, näht euch gute Masken?
Wenn jemand gemahnt hätte, bereite Dich auf eine lange Zeit zu Hause vor? Hätten wir ihm geglaubt?
Ich hätte wohl ähnlich wie die Leute damals reagiert. Ich wäre wohl genauso unbesorgt, wie die Menschen damals gewesen. Nein, noch vor fünf Monaten war an so etwas noch gar nicht zu denken.
Als die große Flut für Noah kam und die Wassermassen stiegen, mussten er, seine Familie und die mitgenommenen Tiere in der Arche auf engsten Raum miteinander auskommen. Sie konnten nicht nach draußen. Ich stelle mir vor, wie die Luft stickig war, wie die Tiere unruhig wurden.
Vielleicht, liebe Schüler und Schülerinnen erinnert euch diese Situation auch an die jetzige. Zu Hause müsst ihr mit euren Geschwistern und euren Eltern gemeinsam die Zeit gestalten. Vielleicht erlebt ihr die Situation in eurer Wohnung oder in eurem Haus auch gerade als eng. Vielleicht fehlt Euch die Abwechslung. Vielleicht stören Euch gerade Kleinigkeiten, über die ihr sonst hinwegseht, mehr. Bei so ungewohnter und manchmal beengter Situation ist es auch nicht verwunderlich, dass es manchmal zu Streitigkeiten kommt.
Sowohl heute, als auch bestimmt damals in der Arche. Auch da kam es gewiss zu dem einen oder anderen Streit, einfach weil ein normaler Alltag nicht möglich war. Ich stelle es mir schwierig vor, wenn auf der Arche Giraffen neben Löwen lebten, oder die Luchse sich ein Zimmer mit den Stinktieren teilen mussten. Vom Zusammenleben von Maus und Katze ganz zu schweigen.
Und bestimmt warteten in der Arche Tier und Menschen ungeduldig darauf, dass die Flut vorbei ging. Keiner von ihnen wusste, wann dies sein würde.
Auch dies kenne ich gerade gut. Ging ich am Anfang noch sehr gelassen mit der Situation um, denke ich heute ab und an: Kann dies alles nicht endlich vorbei sein? Kann ich bitte meinen ganz gewöhnlichen Alltag wiederhaben? Kann ich bald die Schüler und Schülerinnen wiedersehen und mich mit ihnen über ihre Erfahrungen austauschen?
Was hat Noah wohl in dieser Situation gemacht? Noah, der ohne Murren und ohne Zweifel die Arche baute? Noah, der sich nicht vom Spott seiner Nachbarn beeinflussen lies? Noah, der die anderen Familienmitglieder davon überzeugte in die Arche zu gehen?
Bestimmt gab es auch bei ihm Momente, wo Noah zweifelte, wo er genervt war von den Wassermassen um ihn herum. Ich stelle mir aber auch vor, dass er trotz allem ruhig blieb, dass in ihm, immer die Hoffnung blieb, dass diese Flut zu Ende gehen wird.
Dass diese Hoffnung bei ihm immer bestand, zeigt, dass Noah als die Wasser langsam wieder zurückgingen, zunächst einen Raben und dann eine Taube ausfliegen ließ. Beide sollten erkunden, ob es schon möglich sei, endlich wieder an Land zu gehen. Voller Ungeduld werden die Arche-Bewohner auf die Rückkehr der Vögel gewartet haben, freudig überrascht, als die Taube einen Ölzweig im Schnabel hatte, sichtbares Hoffnungszeichen dafür, dass es wieder Leben auf der Erde gibt.
So ein Ölzweig in der Corona-Zeit könnten vielleicht die rückläufigen Infektionszahlen sein, die vom Robert-Koch-Institut gemeldet werden. Sie machen sichtbar, dass die Pandemie sich langsam abschwächt. Anders allerdings als bei der Erzählung um die Arche Noah bleibt es heute die große Aufgabe von jedem von uns, mitzuwirken und Vorsichtsmaßnahmen einzuhalten, so dass die Infektionsrate nicht wieder steigt.
Ein kleines Detail finde ich bei dem Arche-Mobile, das in unserem Schulhaus hängt, bemerkenswert. Allerdings muss man genau hinschauen, um es zu erkennen.
Die Schülerinnen und Schüler haben sich, als sie das Mobile gestalteten, die künstlerische Freiheit genommen, bereits einige der Farben des Regenbogens an die Bordwand der Arche zu malen. Als Hoffnungszeichen.
Eigentlich, so erzählt es die biblische Geschichte, wird der Regenbogen in den Wolken erst dann sichtbar, als die große Flut vorbei ist, nachdem alle die Arche wieder verlassen haben.
Aber in der Arche in unserem Schulhaus leuchten die Farben des Regenbogens schon vorher auf: das Rot der Liebe, das Orange der Lebendigkeit und das Gelb der Freude sind schon während der Zeit auf der Arche zu erkennen.
Vielleicht kann durch diese drei genannten Dinge, die durch die Farben symbolisiert werden, auch unsere Hoffnung immer wieder ein Stück wachsen.
Gedeihen kann Hoffnung vielleicht, wenn wir anderen unsere Liebe und Zuneigung zeigen sowie die Liebe und Zuneigung anderer spüren können. Vielleicht ist es in dieser Zeit umso wichtiger dem anderen zu sagen, schön, dass Du da bist. Wir können uns in dieser Zeit gegenseitig aufbauen und Hoffnung geben.
Hoffnung kann auch wachsen, in dem wir die Lebendigkeit unseres Lebens spüren. Das kann ein herzhaftes gemeinsames Lachen sein, eine Umarmung, vielleicht ein Tanz zu lauter Musik. Das kann das Spüren der Wärme der Frühlingssonne auf der Haut, das Aus-der-Puste-sein nach dem Waldlauf sein. Lebendig können wir uns in so vielen Situationen fühlen.
Vielleicht kann Hoffnung auch daraus erwachsen, dass wir uns über kleine Dinge in unserem jetzigen Alltag freuen – über das Aufblühen der Natur, den blauen Himmel, das Vogelgezwitscher am Morgen, die Musik des Lieblingssängers oder der Lieblingssängerin, ein Gespräch mit den Freunden am Handy, über WhatsApp oder bei Gotomeeting, über eine geschaffte Aufgabe oder ein leckeres Essen. Ich denke in unserem Alltag können wir beim genaueren Hinschauen viele dieser kleinen Freuden entdecken.
Ich wünsche euch und ihnen, dass wir diese drei Dinge im Alltag sehen und spüren.
Ich wünsche uns diese Hoffnung des Regenbogens, dass er uns in die vor uns liegende Woche begleitet, als Zeichen Gottes, dass er uns auch in dieser ungewohnten und für viele schwierigen Zeit behütet. Amen.
Ihr Heiko Ackermann
Pfarrer der Erfurter Stiftungsschulen