Die Nacht der verlöschenden Lichter

Lesen Sie den Impuls zum Montag von Heiko Ackermann, Pfarrer und Schulseelsorger unserer drei Erfurter Stiftungsschulen. Als Zeichen der Verbundenheit, gegen die Angst, lassen Sie uns gemeinsam am Abend des Gründonnerstags eine Kerze anzünden.

Ursprünglich hatten meine Frau und ich die Idee, in diesen Osterferien nach Rom zu fahren. Und ehrlich gesagt, hatte ich mich schon gefreut, einige der Sehenswürdigkeiten der ewigen Stadt, wie Rom auch genannt wird, zu erkunden: das Kolosseum und die spanische Treppe, die Katakomben, den Petersdom und die sixtinische Kapelle. Von der Vorfreude auf italienische Köstlichkeiten wie Eis, Pizza und Pasta ganz zu schweigen. Doch durch die Verbreitung des Corona-Virus wurden diese ursprünglichen Reisepläne jäh durchbrochen.

Ich kann mir vorstellen, dass viele von Euch ähnliche Pläne für die Osterferien hatten: Ski-Fahren in den Alpen, Strandgänge an der See oder irgendwohin in die Sonne fliegen. Vielleicht wollten einige von euch auch eine der europäischen Hauptstädte erkunden, eine Fahrradtour unternehmen, in den Zoo gehen oder Freunde und Verwandte besuchen. All das ist diese Osterferien leider nicht möglich und neben der Einsicht, dass es gut und wichtig ist, zu Hause zu bleiben, um die Verbreitung des Virus einzudämmen, bleibt da doch auch Wehmut und Traurigkeit darüber, dass diese Osteraktivitäten nun alle ausfallen müssen.

Ich selbst hatte mich in Rom besonders auf einen Gottesdienst gefreut, über den ich bisher nur gelesen hatte und der am Abend des Gründonnerstags, also dem Donnerstag vor Ostern, im Petersdom gefeiert wird. Das besondere bei diesem Gottesdienst ist, dass nur an diesem Abend 13 Kerzen auf dem großen Altar stehen: Zwölf Kerzen symbolisieren die Jünger Jesu, eine größere Kerze Jesus selbst. Erinnern möchte dieser besondere Gottesdienst an den Abend, an dem Jesus das letzte Abendmahl mit seinen Jüngern feierte. Erinnern möchte er an den anschließenden Gang in den Garten Gethsemane, wo Jesus von Judas mit einem Kuss verraten wurde. Erinnern möchte er daran, wie alle Jünger aus Angst flohen und Jesus allein gelassen wurde. Genau an diese Angst der Jünger, an das Verlassen werden, will dieser besondere Gottesdienst erinnern. Deshalb wird dieser Teil des Gottesdienstes auch die „Nacht der verlöschenden Lichter“ genannt. Normalerweise werden in einem Gottesdienst ja Kerzen angezündet. Hier ist es genau umgekehrt. Hier werden die Kerzen ausgeblasen, um zu symbolisieren, wie viel Angst es damals zu der Zeit von Jesus, aber auch heute noch gibt. 

Angst kann einem manchmal die Luft nehmen, kann erdrückend sein. Oft wird bei diesem Gottesdienst dann auch, wenn eine der Kerzen erlischt, eine der Ängste benannt, unter der viele Menschen leiden.

Kerzenauslöschen und Ängste benennen. Ich habe mir überlegt, was für mich gerade solche Ängste sind: 

  • Die Angst, davor, dass sich das Coronavirus sowohl in Deutschland, aber auch weltweit, nicht eindämmen lässt und sich immer weiter ausbreitet. 
  • Die Angst davor, dass mir nahestehende Freunde und Familienmitglieder erkranken und an den Folgen des Coronavirus vielleicht sogar sterben könnten. 
  • Die Angst, dass Schülerinnen und Schüler, deren Eltern und Großeltern, Lehrerinnen und Lehrer aus unserer Schulgemeinschaft schwer erkranken.
  • Die Angst davor, dass es Streit in Familien gibt.
  • Die Angst davor, dass Eltern von Schülerinnen und Schülern, dass Freunde und Bekannte ihren Arbeitsplatz verlieren. 
  • Die Angst davor, wie es in den nächsten Wochen und Monaten weitergeht.
  • Die Angst, dass Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegekräfte an die Grenze des Machbaren kommen und schwere Entscheidungen treffen müssen.
  • Die Angst, dass insbesondere ältere Menschen vereinsamen.
  • Die Angst, dass Menschen in den sogenannten Entwicklungsländern nicht die medizinische Hilfe bekommen, die sie benötigen. 

Angst kann lähmen. Manchmal kann Angst schnell die Macht über uns ergreifen, ohne dass wir dies wollen. Dann kreisen all unsere Gedanken nur noch um die Angst. Auch mir geht das von Zeit zu Zeit so.
Am Ende der Nacht der verlöschenden Lichter, meist ist das kurz vor Mitternacht, wenn der Schein der zwölf Kerzen die stellvertretend für die Jünger Jesu stehen, verloschen ist, bleibt nur noch eine Kerze übrig, die brennt. Die Jesuskerze. Und auch wenn Jesus selbst damals bestimmt Angst hatte, so wird durch ihr Licht das Dunkel des riesigen Petersdoms doch ein wenig erhellt. Ich finde das ein sehr Mut machendes und hoffnungsvolles Symbol gegen die Dunkelheit, gegen die Angst.

Jesus sagte einmal: “Ich bin das Licht der Welt.“ Unsere Ängste und die für uns schwierigen Situationen kann uns Jesus, kann uns unser Glauben an Gott nicht einfach wegnehmen. Doch wir können durch unseren Glauben neue Zuversicht finden und damit eine Hilfe, unserer Angst nicht zu erliegen.

Zuversicht kann der Angst entgegengesetzt werden. Zuversicht kann in uns wachsen. Wie ist dies vielleicht in unserem derzeitigen Alltag möglich? Zuversicht kann in Gemeinsamkeit entstehen, in dem wir miteinander sprechen, uns Mut zusprechen. Zuversicht kann in der Ruhe reifen, vielleicht bei einem Spaziergang durch den Park, beim Schreiben eines Tagebuches oder während des Besuches einer leeren und ruhigen Kirche. Viele Menschen finden neue Zuversicht im Gebet.

Zuversicht kann eine Balance zur Angst schaffen. Sie kann die Angst ein Stück eindämmen oder sie sogar vertreiben. Genauso, wie das Licht der Jesuskerze die Dunkelheit des Petersdoms nicht ganz dunkel sein lässt.

Diese Zuversicht wünsche ich uns allen sehr in dieser Zeit.

Ihr/Euer 
Pfarrer Heiko Ackermann