Werner-Sylten-Preis für christlich-jüdischen Dialog
Charlotte Weber vom Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland hat heute den Werner-Sylten-Preis an den gesellschaftswissenschaftlichen Wahlpflichtkurs der Klassen 9 und 10 des Evangelischen Ratsgymnasiums Erfurt und ihre Fachlehrerinnen Claudia Bargfeld und Franziska Neudorf übergeben.
Das Projekt „Das verschollene Fotoalbum“ wurde mit dem 1. Preis in Höhe von 1.000 Euro ausgezeichnet.
Die Jury des Werner-Sylten-Preises würdigt das Engagement der beiden Lehrerinnen, „die die Schülerinnen und Schüler zu einer kreativen Auseinandersetzung mit einem besonderen Objekt ermuntert und befähigt haben“, übermittelt Charlotte Weber die Entscheidungskriterien. Besonders preiswürdig sei die gute Vernetzung aus jüdischer Landesgemeinde und Zivilgesellschaft zu anderen Partnern. Die Auseinandersetzung mit jüdischer Geschichte und jüdischem Leben spreche mehrere Sinne und Erfahrungsebenen an.
„Die aktuelle Situation zeigt uns, wie wichtig die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit für unser Handeln in der Gegenwart ist, wenngleich diese Auseinandersetzung nicht automatisch eine Wiederholung verhindert. Die Freiheit, in der wir hier leben, will jeden Tag aufs Neue gesichert werden. Das Bewusstsein über den Wert von Freiheit müssen wir wachhalten“, wertschätzt Stiftungsvorstand Marco Eberl die pädagogische Arbeit und dankt Claudia Bargfeld und Franziska Neudorf für das Engagement im Wahlpflichtkurs.
„Unsere Schülerinnen und Schüler profitieren von solchen Projektarbeiten und lernen intensiver, wenn außerschulische Experten eingebunden sind und praxisnahe Themen – wie ein Fotoalbum der Familie – der Aufhänger sind“, erläutert Claudia Bargfeld den Mehrwert vom Projektunterricht im Vergleich zum klassischen Unterricht.
Ausgangspunkt des Schulprojekts „Das verschollene Fotoalbum“ war der private Kellerfund eines Fotoalbums durch die Schülerin Nele Ellenberg im November 2020. Das Album spiegelt das Leben der jüdischen Gemeinde Erfurts von 1938 bis 1952 wider. Die Lehrerinnen Franziska Neudorf und Claudia Bargfeld nutzten den Fund, um das Fotoalbum mit zwei Lerngruppen jahrgangsübergreifend im gesellschaftswissenschaftlichen Wahlpflichtkurs der Klassen 9 und 10 zu bearbeiten. In Zusammenarbeit mit der jüdischen Landesgemeinde wurde das Album mit Bildern und Notizen historisch kontextualisiert. Die Schülerinnen und Schüler versuchten mit ihrer Spurensuche, dargestellte Menschen mit Hintergrundgeschichten zu verknüpfen, jüdische Riten und Bräuche zu untersuchen und in der Stadt alte Baugeschichte mit neuen Perspektiven fotografisch zu vergleichen. Die professionelle Umsetzung der Ergebnisse in eine digitale Variante des Fotoalbums erfolgte durch Workshops mit der Grafikerin Marianne Conrad. Hierfür gab es zudem Fördermittel aus dem Margarethe-Schauer-Fonds der Evangelischen Schulstiftung in Mitteldeutschland.
Mit einem Beschluss der 2. Landessynode hat sich die Landeskirche verpflichtet, jeder Form von Antisemitismus zu widersprechen, in Lehre und Leben das religiöse Selbstverständnis des Judentums zu achten, für Religionsfreiheit einzustehen und der Entrechtung, Diskriminierung und Zerstörung jüdischen Lebens entgegenzutreten sowie den Reichtum der jüdischen Schriftauslegung wahrzunehmen und sich mit antijüdischen Interpretationen der Bibel auseinanderzusetzen. In der Folge wurde der Werner-Sylten-Preis ins Leben gerufen. Mit ihm werden Projekte ausgezeichnet, die die Selbstverpflichtung im Raum der Landeskirche umsetzen.
Werner Sylten war ein evangelischer Theologe, der 1936 wegen seiner jüdischen Abstammung aus dem Pfarrdienst entlassen wurde. Er half mit, das Leben von mehr als tausend „nichtarischen“ Christen zu retten. 1942 ermordeten ihn die Nazis. 1979 wurde ihm von der Gedenkstätte „Yad Vashem“ der Ehrentitel „Gerechter unter den Völkern“ verliehen.