500 Jahre Luthers Ratsherrenschrift – eine bildungspolitische Wende
Anlässlich des 500. Jahrestages des Erscheinens von Martin Luthers Ratsherrenschrift im Jahr 1524 veranstalteten die Evangelische Schulstiftung in Mitteldeutschland, die Stadt- und Regionalbibliothek Erfurt sowie die Universität Erfurt gemeinsam ein wissenschaftliches Symposium.
Bundesweit einzigartig war der Versuch, eine Brücke zwischen Wissenschaft und Schule zu schlagen: Schülerinnen und Schüler des Evangelischen Ratsgymnasiums Erfurt befanden sich unter den etwa 90 Teilnehmenden. Nach den wissenschaftlichen Impulsvorträgen von Prof. Dr. Andreas Linder, Prof. Dr. Kai Brodersen und Frank-Joachim Stewing erarbeiteten die Schüler am Luthertext eigene Thesen zur Bildung in der Gegenwart.
Vor 500 Jahren rief Martin Luther die Ratsherren aller Städte im deutschsprachigen Raum dazu auf, Schulen zu errichten. Dabei waren seine Vorstellungen beispielgebend für ganz Deutschland, viele Teile Europas und sogar Nordamerikas: Das mittelalterliche Schulwesen lag darnieder, das Bildungsmonopol der Kirche löste sich auf. In Zeiten des reformatorischen Umbruchs forderte Luther eine allgemeine Bildung für alle – Jungen und Mädchen, betonte den Wert der alten Sprachen wie auch der weltlichen Wissenschaften. Schüler sollten sich durch eigene Lektüre sowohl die Bibel als auch die Welt erschließen können. Er wies die Schule dem staatlichen Handeln zu und erwartete eine sichere Schulfinanzierung – zum Wohle des Gemeinwesens. Die Phase des kirchlichen Bildungsmonopols endete, in der Folge wurde das Schulwesen verstaatlicht, bis schließlich wiederum ein staatliches Bildungsmonopol entstand, das nach den Diktaturen des 20. Jahrhunderts selbst in die Kritik geriet.
Der Tagungsort für das Symposium war gut gewählt: Das Evangelische Ratsgymnasium in Erfurt war 1561 im Ergebnis der Erfurter Stadtreformation wie zahlreiche andere Schulen im Reich als Reaktion auf die Ratsherrenschrift entstanden. Unweit des heutigen Schulstandortes in der Meister-Eckart-Straße wurden die Erfurter Ausgaben der Lutherschrift gedruckt. Eine Überraschung kündigte zudem Frank-Joachim Stewing, Direktor der Erfurter Stadt- und Regionalbibliothek, an: Nach weiterführendem Quellenstudium muss das Gründungsdatum des Evangelischen Ratsgymnasiums wohl neu bestimmt und möglicherweise früher datiert werden.
Im zweiten Veranstaltungsteil setzten sich die Schülerinnen und Schüler intensiv mit der Frage auseinander, welche Relevanz die Schrift heute für sie persönlich hat. Die Ergebnisse dieser Überlegungen werden dann im kommenden Jahr, ebenso wie die Impulse der Referenten, in einer eigenen Broschüre veröffentlicht.
„Für uns war es Verpflichtung und Ansporn, im Jahr des Jubiläums die Lutherschrift auf diese Weise produktiv zu würdigen. In ihrer bildungsgeschichtlichen Bedeutung wird sie wohl eher noch unterschätzt“, sagte Marco Eberl, Vorstandsvorsitzender der Evangelischen Schulstiftung. „Ich war beeindruckt, mit welcher Intensität die Mädchen und Jungen am Text gearbeitet und sich über heutige schulische Herausforderungen Gedanken gemacht haben. Das war ganz in Martin Luthers Sinne.“