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EDITORIAL
Der Landesbischof der Evangelischen
Kirche in Mitteldeutschland (EKM),
Friedrich Kramer, zur Jahreslosung für
das Jahr 2021 »Seid barmherzig,
wie auch euer Vater barmherzig ist«
Friedrich Kramer
Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM)
Haben Sie auch ein großes Herz? Ja. Wir alle haben das. Von Beim deutschlandweiten Konfirmanden-Camp in Wittenberg,
Natur aus. Nur haben wir uns das große Herz abtrainiert. übrigens eine großartige Veranstaltung, die es sich zu besu-
Barmherzigkeit – ein wunderschönes altes deutsches Wort. chen lohnt, wurde die Jahreslosung auf den T-Shirts so über-
Erbarmen mit Herz. Sich zu erbarmen, ist körperlich und ge- setzt: »Warm-Herzig«
schieht unmittelbar. Sich mit dem Herzen zu öffnen, ist riskant
und kann auch schiefgehen – klar. Deshalb möchte ich mich »Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist«, sagt
dagegen schützen. Damit keiner mein weites Herz missbraucht. Jesus. Bleibt barmherzig gegenüber den von Unbarmherzig-
keit Betroffenen aber auch gegenüber denen, die euch beleidi-
Im Mittelalter bemühten sich die Reformatoren darum, die gen und die in euren Augen Schuld haben. Sprecht freundlich
Barmherzigkeit auf stabile Füße zu stellen. Mit Sozialkassen übereinander, unterstellt einander Gutes, schützt und stützt
und Almosenordnungen, mit den Gemeinen Kassen. Damit einander. Das lässt euer Herz wachsen und groß werden, denn
verpflichteten sie die Gemeinschaft zur Armenfürsorge. Un- Gott hat ein unendlich großes Herz in seiner Liebe zu uns.
ser Verständnis vom Sozialstaat rührt auch daher. Er braucht
Steuern und gerne gegebene Gaben. Gottes Segen für alle und für Sie insbesondere, die evange-
lische Bildung gestalten, auf dass Sie Ihr großes Herz zeigen
Barmherzigkeit in Steuern zu verwandeln, reicht aber nicht. können. Mögen Sie ein offenes Herz finden, wann immer Sie
Eine Gefahr dabei ist, dass ich mir vom Leib halte, was mich es brauchen.
sonst zutiefst berühren würde. Aus Angst davor, dass mir die
Begegnung mit dem Heimatlosen und Flüchtlingen oder mit
dem Kranken zu nahe geht. Aus Angst davor, dass mich er- Wünscht Ihnen
schüttert, was in meinem Namen an den Grenzen Europas
oder in den Sklavenfabriken Bangladeschs passiert. Aus Angst
mache ich mein Herz hart.
Friedrich Kramer, Landesbischof
der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland
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